Fadi Saad zu Besuch an der Haupt- und Realschule

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Foto und Text: Erik Beyen

Das Gangsterimage hat Fadi Saad schon lange abgeschüttelt, und es passte auch nicht wirklich zu ihm. Der heute 44-Jährige war eher ein Mitläufer, der etwas darstellen wollte, einer, der sich die falschen Seiten von den „Großen“ abgeschaut hat, seinen Migrationshintergrund dabei gekonnt ins Spiel bringend. In der zurückliegenden Woche gastierte er für zwei Tage in Königslutter. Vor der Schülerschaft der Haupt- und Realschule erzählte er aus seinem Leben, immer sein Buch „Der große Bruder von Neukölln“ in Griffweite.

Dort kommt der Berliner her, dort ist er aufgewachsen, dort lernte er, seiner Mutter Tränen zu bereiten. Seine Botschaft an die Schülerinnen und Schüler lässt sich nicht mit einem Wort fassen, zu vielschichtig ist sie: Respekt, Achtung, Toleranz, Rücksicht, Gewaltlosigkeit, Ehrlichkeit, Offenheit, Zielstrebigkeit – und vor allem auch dies: „Geht euren Weg und achtet einander.“ So könnte man oberflächlich das zusammenfassen, was er in zwei Schulstunden vermittelt.

Die Lesung, nein, eher der Dialog mit der Schülerschaft wurde auch durch Unterstützung des Lions Club Königslutter Kaiser Lothar möglich. Wir haben reingehört, als Fadi Saad vor dem zehnten Jahrgang der Hauptschule sprach.

Wer von Saad liest, dem wird die Geschichte eines geläuterten Gangmitgliedes, die eines Aussteigers vermittelt. „Das bin ich nicht“, sagt er. Doch alles, was er an diesem Tag den jungen Leuten erzählt, hat er erlebt, besser gelebt, und es hat ihn letztlich ins Gefängnis gebracht. Erste Lektion: Einen auf „dicke Hose“ zu machen, kann schwere Folgen haben.

Im wahren Leben ist der Autor tatsächlich Polizist. „Viermal habe ich mich beworben, beim vierten Mal hat es geklappt“, sagt er dazu. Das nennt man wohl „hartnäckig ein Ziel verfolgen“. Etwas, was die 16 Jahre alte Taha und ihr 17 Jahre alter Mitschüler Phillip zum Beispiel mitnehmen: „Ziele nicht aufgeben, sie immer verfolgen.“ Beide wollen sie einen Realschulabschluss hinlegen, mit dem sie etwa die gymnasiale Oberstufe besuchen könnten.

Fadi Saad fordert und räumt auf. Er fordert Allgemeinwissen ein, stellt einzelne Schüler beinahe bloß und schreckt auch nicht vor der „Nazischublade“ zurück. In die steckt er einen Schüler. Da ging es um die Augenpartie asiatischer Menschen: mandelförmige Augen. Der Schüler sprach von „Schlitzaugen“. Falsche Antwort gleich Nazi – weil diskriminierend und rassistisch. Ist das so einfach?

Der Autor holt aus. Es geht um Schubladendenken, Vorurteile, gebräuchliche Begriffe – in diesen Tagen wird alles leicht zur Falle. „Die Deutschen überlegen sich sehr genau, was sie sagen“, meint Saad, denn jedes Wort könne auch gegen sie ausgelegt werden. Das sei bei den meisten Ausländern nicht so. „Ist doch schade, dass wir nicht einfach frei sprechen können“, meint er.

Scheinbar oberflächlich, doch der Autor thematisiert sensible und heikle Themen: Missverständnisse zwischen Kulturen und Sprachen, basierend auf Vorurteilen aus Nichtwissen oder gar Desinteresse heraus. Wer kann schon den heiligen Monat des Islam auf Anhieb nennen. Es ist der Ramadan und zugleich der neunte Monat im islamischen Kalender, im aktuellen Jahr 1444. Saad fragt das Alter des Christen- und Judentums ab. Zurückhaltung. Christentum? 2023. Judentum: etwa 3000 Jahre alt. „Allgemeinwissen aus der siebten Klasse einer Hauptschule“, haut der Mann raus. „Das hatten wir nicht im Unterricht“, sagt einer der Schüler. „Die Schule ist auch nicht für alles da“, kontert der Autor. Interesse sei der erste Schritt auf den anderen zu. Und ja: Fadi Saad fordert das von allen.

Es sind spannende 90 Minuten mit dem Autor, an deren Ende so manches Vorurteil in Sachen Kopftuchzwang, Verhalten des türkischen Mannes und die eine oder andere skurrile ausländische Sicht auf die Deutschen gefallen sind. Saad packt die jungen Leute bei ihrem Stolz im Schein, Sein, Wirken und Handeln. In Jogginghosen zur Schule? Das wäre mit ihm nicht drin. Respekt? Nun, auch das war ein Thema, wie auch der Stolz und all die Eigenschaften, die Gesellschaften zusammenhalten, aber auch entzweien können.

Fadi Saad setzt dem fundiertes Wissen und gegenseitiges Öffnen entgegen. Das ist seine Mission. Die 16 Jahre alte Chantal und der 18-jährige Amir haben das verstanden: „Man soll sich ein eigenes Bild machen und nicht den Vorurteilen glauben.“

Erschienen in der Braunschweiger Zeitung am 28.08.23